97. Artikel Winter 1979 und 98. Artikel Frühjahr 1980

„Es geht um die Substanz des Menschen“

„Zerstöre mir meine Kreise nicht!“, so rief Archimedes, Wissenschafter des Altertums, als ein Landsknecht seine Zeichnungen zertrampelte. Es war sein letztes Wort, der Krieger erschlug ihn kurzerhand. Dieses historische Gleichnis kommt mir in den Sinn, wenn ich sehe, wie wir uns hier um wissenschaftliche Wahrheiten bemühen, derweilen draußen die Menschen ihre lebendige Umwelt Stück für Stück vergewaltigen und blindlings in ihr Verderben rennen. Deshalb meine ich, es sei unsere Aufgabe, uns nicht nur mit biologischen Fachfragen zu beschäftigen, sondern auch mit den Schicksalsfragen der Menschheit und der Bedrohung ihrer Existenz.

Es sollte niemand mehr daran zweifeln, dass die Menschheit tatsächlich in ihrer Existenz tödlich bedroht ist, nicht etwa nur durch die Atombombe nicht nur durch Umweltverschmutzung, nicht nur durch kalte und heiße Kriege, sondern durch den Verlust ihrer Substanz. Es geht um den Menschen als geistiges, seelisches und körperliches Wesen, um seine Kultur und um die Gesundheit der menschlichen Gesellschaft. Es ist für uns Ärzte nicht mehr damit getan, dass wir das Problem den anderen überlassen, den Politikern etwa oder den Verwaltungsbeamten, den Pädagogen oder den Volkswirtschaftern – wir hier sollten uns berufen fühlen, denn wir haben die Möglichkeit, die Pathologie der menschlichen Entartung zu durchschauen.

Vor die Therapie haben die Götter die Diagnose gesetzt. Es ist also die Frage: Was hat die Menschen dazu gebracht, sich so unvernünftig, so widernatürlich, so selbstmörderisch zu verhalten? Die Menschen könnten doch heutzutage wissen, wie sie leben müssten, um gesund zu sein und gesunde Nachkommen zu haben, aber sie tun es nicht. Die Politiker müssten doch wissen, dass es nun mehr geht als um Partei -ideologien und Wirtschaftswachstum, um Währungsprobleme und wirtschaftlichen Wohlstand. Jeder Arzt sollte doch heutzutage versuchen, diese widernatürliche Medikamenten-Medizin zu überwinden, er hat doch genug der Beispiele für eine bessere Heilkunst vor Augen, aber er klammert sich ans Gewohnte und Althergebrachte. Jeder Landwirt sollte doch endlich begriffen haben, wie bedenklich und verderblich diese Kunstdünger- und Giftwirtschaft ist, er sollte doch allmählich ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn er seinen Mitmenschen diese entartete und vergiftete Nahrung verkauft, aber er bleibt dabei, trotz so vieler Beispiele des biologischen Landbaues. Und die Wissenschaft? Sie verschwendet alljährlich viele Milliarden, um die überlieferten Halbwahrheiten zu konservieren. Wo man auch hinschaut – es ist überall dasselbe: Die Menschen verhalten sich, als hätten sie sich selbst aufgegeben Warum tun sie das?

Das alte Testament sagt es mit einem Wort: „Wen der Herr vernichten will, den schlägt er mit Blindheit.“ Das Entartete rottet sich selbst aus. So will es ein unerbittliches Naturgesetz. Wer blind ist, sieht nicht mehr das Physiologische, hat keinen blick mehr für das biologische Optimum, für das Gesunde und seine Symptome. Er vermag nicht mehr zu sehen, dass mit dem Schwund der körperlichen Gesundheit auch die menschliche Kultur verfällt, dass das Abnorme und Abwegige triumphiert, dass sich das Hässliche und Schmutzige ausbreitet. Wer mit Blindheit geschlagen ist, verliert den Sinn für biologische Vernunft, verliert Geist und Seele zugunsten eines geist- und seelenlosen Intellekts. Wo aber der kalt-rechnende Intellekt regiert, da stirbt das Herz, da stirbt alles, was den Menschen ausmacht vor allem anderen Lebendigen auf der Erde. Das ist der Anfang vom Ende. Ich glaube nicht daran, dass allein die Entwicklung einer einseitigen Naturwissenschaft und Technik daran schuld ist, wie man öfters hört. Ich glaube nicht, dass dies allein zur einseitigen Entwicklung des Intellektes, zum materialistischen Egoismus und zur Krankheit der menschlichen Gesellschaft führt. Ich glaube vielmehr, dass auch das schon Merkmal der biologischen funktionalen Entartung ist. Deshalb, meine ich, ist es unsere Aufgabe, über die Mechanismen der Arterhaltung und der Entartung nachzudenken und die Wege zur Überwindung der Entartung zu erschließen.

Nehmen wir als Beispiel den sogenannten Abbau der Kulturpflanzen, jener Pflanzen also, von denen wir und unsere Haustiere leben. Diese Pflanzen betrachtet die Natur ohnehin mit Argwohn, denn sie sind künstliche Züchtungen. Als man aber damit begann, diese Pflanzen auch noch künstlich zu ernähren, wurde der Argwohn der Natur zur offenen Feindschaft. Seitdem bemüht sie sich, diese entarteten Geschöpfe mit allen ihren Mitteln auszurotten. Heere von Insekten, Bakterien, Pilzen und Viren, Schwund der Fruchtbarkeit von Boden und Pflanze, Verlust der Abwehrfähigkeiten, pathologische Verschiebung der Bakterienfloren, Verlust von Geruch und Geschmack der Früchte. Und die angeblich hochwissenschaftliche Reaktion, die man wirklich nur primitiv nennen kann: Entwicklung und Anwendung riesiger Mengen fürchterlichen Giften und lebensbedrohenden Medikamenten. Die Landwirtschaft wurde zum größten Umweltverschmutzer aller Zeiten.

Das Gegenbeispiel ist der sogenannte biologische Landbau. Hier wurde – trotz ungünstigster Umwelt und gegen erbitterten Widerstand – die Kulturpflanze wieder in die natürlichen Substanzkreisläufe hineingestellt. Sie antwortet prompt, indem sie ihre naturgegebenen Leistungsfähigkeiten wiedergewinnt: Fruchtbarkeit, Abwehrfähigkeit, Schmackhaftigkeit, Haltbarkeit – kurz: Sie überwindet die Entartung. Und nicht nur das: Auch im Tierstall kehrt die spontane Gesundheit und Fruchtbarkeit wieder. Seine Leistungen steigern sich, die Rentabilität ist gesichert und steigt konsequent von Jahr zu Jahr an. In einem solchen Tierstall hat der Veterinär keine Sorgen mehr, die Tiere sind von selbst gesund.

Es stellt sich hier die Frage, wie es die Natur fertigbringt, fortlaufend die Entartung zu überwinden und optimale Lebensleistungen zu erzeugen. Die Antwort wurde gefunden dank einer jahrzehntelangen Grundlagenforschung, die das „Gesetz von der Erhaltung der lebendigen Substanz“ entwickelte. – Publiziert in der „Wiener medizinischen Wochenschrift 1951“ – und dem Kreislauf der lebendigen Substanzen als Arbeitshypothese in unseren medizinischen und landbaulichen Arbeitskreisen zu realisieren versucht – mit überraschendem Erfolg.

Es geht dabei – in aller Kürze – um folgendes: Organismen bestehen aus Zellen, das heißt aus Gehäusen, in denen lebende Substanzen wirken. Die Funktion eines jeden Organismus hängt von der Funktion ihrer lebenden Substanzen ab. Sobald Teile dieser Substanz-Garnituren unbrauchbar werden, werden sie abgestoßen und aus dem Stoffwechselangebot durch neue und taugliche ersetzt. Das ist der Vorgang der Zellregeneration.

Der Vorgang setzt voraus, dass die Zelle sich dessen bewusst ist, was sie zur Regeneration braucht. Sie muss wissen, was physiologisch, was pathologisch ist. Dieses Zellbewusstsein entspricht immer dem biologischen Optimum.

Zugleich aber muss eine jede Zelle ein Organismus-Bewusstsein besitzen, sie muss wissen, dass sie im Interesse des Ganzen handeln muss, sie muss sich ihm unterordnen. Experimente, bei denen aus einzelnen Zellen der ganze Organismus heruaswächst, könnten nicht gelingen, wenn nicht in jeder Zelle der Plan des Ganzen stecken würde. Die Lymphozyten, die den Transport spezifischer lebender Substanz zu bewirken haben, bringen sie mit Sicherheit genau dorthin, wo sie hingehören. Kein Organismus könnte in Ordnung bleiben, wenn seine Zellen kein Organismus-Bewusstsein hätten.

Die ganze lebendige Schöpfung könnte nicht intakt bleiben, wenn nicht jedem einzelnen Lebewesen, ja jeder ihrer Zellen eine gemeinsame biologische Vernunft innewohnen würde. Denn nur sie ist es, die „die Welt im Innersten zusammenhält“. Die materiell fassbare Darstellung der schicksalhaften Verknüpfung aller Lebewesen auf Erden aber heißt „Lebendige Substanz“.

Und nun zurück zu der Frage, wie eine Entartung von Zellgeweben von Organismen und ganzen Organismus-Gesellschaften wie die des Menschen zustande kommt.

Man weiß heute, dass es viele Tausende von Entartungsmöglichkeiten gibt, ganz gleich ob in der Muttererde oder innerhalb der Organismen, wie zB. durch Anheften von Fremdstoffen oder radioaktive Strahlung. Wir müssen uns vorstellen, dass heute im Kreislauf der lebenden Substanzen der Anteil an abwegigen pathologischen Großmolekülen durch den Gebrauch riesiger Mengen an synthetischen Giftstoffen so groß geworden ist, dass die biologischen Selbstreinigungs-Einrichtungen der Natur nicht mehr ausreichen, ganz ähnlich wie die Selbstreinigung der Flüsse großteils zusammengebrochen ist.

Gesundheit im weitesten Sinn ist nichts anderes als der Besitz optimal leistungsfähiger lebender Zellsubstanz. Natürlicher Weise kann der Organismus diesen seinen kostbaren Besitz bewahren, indem abgebrauchte oder verdorbene Lebendsubstanz und Erbsubstanz ausgetauscht wird, vorausgesetzt, dass ihm im Nahrungsangebot genügend unversehrte Substanz zur Verfügung steht. Das ist nicht mehr der Fall, echte Regeneration ist im Bereich der Hochzivilisation nicht mehr möglich, die Konsequenz ist die zunehmende Degeneration als Massenphänomen in allen denkbaren Variationen als körperliches, seelisches und geistiges Gebrechen. Da die Entartung erblich ist, sind dem Versuch einer Regeneration von vornherein Grenzen gesetzt, sie könnte nur in vielen Generationen überwunden werden. Das wenige, was derzeit unter dem Schlagwort „Umweltschutz“ geschieht, reicht dazu nicht aus, es ist nicht mehr, als der bekannte Tropfen auf dem heißen Stein.

Was müsste geschehen? Was können wir Ärzte tun, um der Entartung Einhalt zu gebieten? Das Aufkommen einer biologischen Heilkunst hat sehr zur Aufklärung der Menschen beigetragen, weiters die geduldige Erziehung zur vernünftigen, natürlichen Lebensführung, die ständige Warnung vor vergifteter Nahrung, vor bedenklichen, vor allem synthetischen Medikamenten.

Sehr hilfreich der überall im Wachsen begriffene biologische Landbau; das Verlangen nach einem eigenen Garten ohne Gift und Kunstdünger. Die Besinnung vieler Bauern auf ihre Pflicht ihren Mitmenschen gesunde Nahrung zu liefern.

Es wurden darüber hinaus Heilverfahren mit ausgesprochen regenerativer Wirkung entwickelt, die sogenannte Bakterientherapie (Symbioselenkung), fußend auf den physiologischen Bakterien, die vom Boden bis zum Menschen überall vorkommen und ausgesprochen regenerative Wirksamkeit haben.

Ich persönlich habe seit geraumer Zeit am Problem der Entartung gearbeitet und glaube das Recht zu einem gewissen Optimismus zu haben. Die Dinge sind immerhin in Fluss gekommen, das biologische Gewissen rührt sich allenthalben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Schöpfung den von ihr geschaffenen Menschen ohne weiteres, ohne jede Chance, kläglich an seiner eigenen Degeneration zugrundegehen lässt. Es gehört zum Wesen des Lebendigen, dass es entgegen dem Strom der materiellen Entropie wirkt, dass es also ständig nach Regeneration strebt.

 

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