„Stand der Humusforschung und ihre praktischen Konsequenzen“
Vortrag gehalten an den Volkshochschultagen 1957 auf dem Möschberg.
Nachdem der unversehrte Kreislauf der Stoffe als Voraussetzung gesunden Lebens erkannt ist, ist die Humusforschung zu einer echten Ernährungsforschung geworden und nur im Rahmen der Ernährung aller Organismen zu begreifen. Um die bisher erkannten Gesetze der Humusbildung und verwertung kennenzulernen, muss man die Grundsätze der modernen Ernährungslehre überhaupt betrachten.
Man unterscheidet heute nach Mommsen drei wertmäßig verschiedene Stufen der
Ernährung, die stofflich unterscheidbar sind:
1. Stufe: Bau- und Betriebsstoffaufnahme
2. Stufe: Vitalstoffaufnahme einschließlich Spurenstoffen
3. Stufe: Aufnahme spezifisch-lebendiger Substanz.
Im Laufe der jahrzehntelangen Ernährungsforschung sind diese drei Stufen nacheinander
wissenschaftlich erkannt worden; die Bau- und Betriebsstoffaufnahme ist am längsten
bekannt und am gründlichsten erforscht, die Aufnahme lebender Substanz ist erst kürzlich
erkannt und noch keineswegs anerkannt, geschweige denn genügend erforscht worden.
1. Bau- und Betriebsstoffe sind die Elemente Ka Ca Na Mg P N und C Verbindungen,
aber auch die organischen Verbindungen: Eiweiß, Kohlehydrate und Fette. Alle diese
Stoffe sind zwar meist aus Lebensvorgängen hervorgegangen, sind aber nicht
lebendig und können kein Leben produzieren. Sie werden im Ernährungskreislauf
ausschließlich von lebender Substanz bewegt, ausgetauscht, zerlegt, wieder
aufgebaut wie sie gebraucht werden. Sie vermitteln Betriebsenergie, stehen aber im
Rang unter der lebenden Substanz.
2. Vitalstoffe einschließlich Spurenstoffen sind Wirkstoffe oder werden zur
Wirkstoffbildung gebraucht wie die Spurenelemente. Die Wirkstoffe stehen in ihrer
biologischen Bedeutung zwischen der leblosen und der lebenden Materie, sind
erheblich komplizierter gebaut und werden von den höchstentwickelten Organismen
nicht selbst hergestellt sondern vielfach bezogen als Vitamine, Hormone, Enzyme. Zu
ihrer Bildung gehören vielfach seltene Elemente wie Kobalt, Molybdän und Kupfer.
Von diesen Elemente-Arten werden die meisten für die Lebensvorgänge gebraucht,
wenn auch nur in Spuren. Mit diesen Elementen werden Wirkstoffe gebildet, mit
deren Hilfe die lebende Substanz den Transport, die Umformung und die
Verwendung der Bau- und Betriebsstoffe regelt mit deren Hilfe überhaupt alle
stofflichen Notwendigkeiten der Lebensvorgänge gelenkt werden. Sie wirken als Bio-
Katalysatoren, als Regler des Stoffwechsels, als Wächter über die Energieumsetzung
und Wärmebildung, als Wuchsstoffs, als Lockstoffe in Form der Duft-, Aroma und
Farbstoffe. Die Wirkstoffe sind bereits typisch für Lebensvorgänge und den Stoffen
der ersten Stufe übergeordnet, sind aber selbst nicht lebendig. Sie stehen zwischen
leblos und lebendig, sind Produkte der lebenden Substanz, sind diesen eindeutig
untergeordnet, sie zerfallen aber beim Tod von Organismen nicht.
3. Stoffe der lebenden Substanz: Sie sind chemisch nur sehr wenig bekannt, sind
jedoch so kompliziert aufgebaut, die Zahl ihrer Atome so groß, dass ihre Erforschung
von führenden Biochemikern als äußerst schwierig bezeichnet wird. Die
Lebenssubstanz ist aber gerade derjenige Stoff, der im Stoffkreislauf die höchste
Rangstufe einnimmt, von ihr werden die Lebensvorgänge maßgeblich gelenkt.
Man weiß, dass die Lebenssubstanz erheblich widerstandsfähiger ist, als man bisher
angenommen hat, aus diesem Grund bleibt sie beim natürlichen Tod von Zellen,
Geweben und Organismen erhalten und zerfällt nicht, genauso wie die Vitalstoffe. Mit
diesem Überleben ist der Kreislauf der lebenden Substanz gegeben. Dieser Kreislauf
führt vom Boden zu den Organismen und von den Organismen wieder zum Boden
zurück, da alle Materie die lebt aus dem Boden kommt und in den Boden wieder
zurückkehrt.
Die vollständige Ernährung des Bodens kann nicht bewerkstelligt werden mit den Stoffen der ersten Stufe, den Bau- und Betriebsstoffen chemisch bekannter Art, am wenigsten mit
Mineralsalzen allein. Der Organismus Boden kann ohne Vitalstoffe und lebender Substanz
ebenso wenig existieren wie die höheren Organismen.
Die Landwirtschaft kann aber Vitalstoffe und lebende Substanz für die Bodenernährung nur aus einer einzigen Quelle beziehen: aus dem Material abgelaufener Lebensvorgänge, aus den Abfällen von Menschen, Tieren und Pflanzen und Mikroben, aus sogenanntem
organischen Material. Dieses Material enthält zugleich alle lebensnotwendigen Stoffe aller
Ernährungsstufen: Baustoffe, Betriebsstoffe, Vitalstoffe und lebende Substanz. Dieser
Nahrung braucht nichts mehr hinzugefügt zu werden. Jede Ergänzung ist nicht nur
überflüssig sondern stört die biologische Einheit der Nahrung. Jedes Zufügen zum Beispiel
von Mineralsalzen bedingt eine Fehlernährung.
Wenn die künstliche Zufuhr von N Ca K und P trotzdem pflanzenwirksam unter
wuchssteigernd ist, so geht das nur auf Kosten der lebenden Bodensubstanz und nur
deshalb weil mangels ausreichender organischer Nahrung ein Defizit in allen
Ernährungsstoffen besteht. Nun wird derzeit die organische Abfallsubstanz weder richtig
behandelt noch richtig angewendet. Man geht mit ihr verschwenderisch um, weil man mit ihr überhaupt nicht umgehen kann.
Man lässt sie nicht nur auf Haufen verkommen, in Methantürmen verfaulen, verbrennen und in die Flüsse, Seen und Meere verschwinden.
Man lässt sie auch dort entwerten, wo man sie zur Düngung tatsächlich braucht. Man tut es unwissend weil man keinen Maßstab hat.
Wir können heute grundsätzlich folgendes behaupten:
1. Alle Lebewesen auf der Erde, auch die Menschen, sind mit Hilfe der von ihnen
hinterlassenen organischen Abfallsubstanz auf jeden Fall und unter allen Umständen
vollkommen zu ernähren. Es kommt nur darauf an, diese Abfallsubstanz zu erfassen
und vollwertig an den Boden zu bringen.
2. Der volle Wert von Abfallstoffen kann nur erhalten werden, wenn die in ihnen
weiterlaufenden Lebensvorgänge keine Unterbrechung erleiden, ehe sie an den
Boden kommen.
3. Der Boden vermag die Wertigkeit der Nahrungsstoffe, einschließlich der Wertigkeit
der lebenden Substanz, über längere Zeiträume zu konservieren. Der Boden vermag
das aber nur dann, wenn er in der natürlichen Schichtbildung, das heißt im
stufenweisen Umbau der Abfallsubstanz, nicht gestört wird.
4. Die Pflanze vermag diese konservierte Nahrung zu mobilisieren und aufzunehmen,
sobald sie durch die Photosynthese in die Lage versetzt ist, Betriebsstoffe zu liefern.
5. Jede Ergänzung organischer Dünger und jede Verwendung von Düngern, die nicht
unmittelbar organischer Herkunft sind, stellt eine Fehlernährung des Bodens und
damit der Pflanze dar. Die Boden- und Pflanzenernährung ist ein echter
Lebensvorgang und niemals, auch nicht teilweise, künstlich ersetzbar.
In diesen 5 Punkten haben wir die Grundsätze des natürlichen Landbaues vor uns. Wenn wir sie praktisch auswerten, ist die gröbste Arbeit getan.