Wir sagten, es handle sich bei der Bodenfruchtbarkeit um einen Begriff, der nicht alleine für sich gesehen werden kann, sondern nur als Teil eines größeren Ganzen, als Teil jener Fruchtbarkeit, die alles Leben auf der Erde fortzeugend erneuert.
Nun gibt es in der lebendigen Welt, wie sie uns sichtbar wird eine unvorstellbare große Zahl von Organismen-Arten, deren Dasein zwangsläufig begrenzt ist, die als Individuen sterblich sind, von recht verschiedener Lebensdauer; Gattung und Art aber bleiben erhalten, mit peinlicher Genauigkeit, sie sind „konstant“, sie erben sich fort. In den Zeiträumen, die wir zu überblicken vermögen, gibt es zwar „Kreuzungen“, Vermischungen der Erbmassen sowohl wie bei Pflanzen, als auch bei Tieren, die Erbmasse als solche aber bleibt in jedem Fall erhalten. Die biologische Potenz, die Organismen zu diesem Zweck haben, nennen wir „Fruchtbarkeit“. Der Schluss liegt greifbar nahe, das Geheimnis der Fruchtbarkeit sei demnach in allen den Einrichtungen zu finden, deren sich die Fortpflanzung bedient. Fruchtbarkeit – ein Urphänomen.
Wenn man genauer hinsieht, so handelt es sich bei den Fortpflanzungseinrichtungen der Organismen keineswegs um Mechanismen, deren das Leben an sich bedarf, um unsterblich zu sein. Diese Einrichtungen erweisen sich vielmehr als ungeheure Komplizierungen, die erst mit der Entwicklung höherer Lebensformen notwendig geworden sind, um Sonderausführungen durchführen zu können ohne die beispielsweise die Fortpflanzung eines Säugetieres unmöglich wäre. Für unsere Frage hier, in der es um das Prinzip der Fruchtbarkeit an sich geht, müssen wir uns bemühen, die spezifischen Komplizierungen zu durchschauen, um dem eigentlichen Vorgang näher zu kommen.
Es gibt das Prinzip der Fortpflanzung auch in wesentlich einfacheren Formen, und da kann man nicht mehr sagen, es handle sich um einen Mechanismus, der allein die Arten unsterblich mache. Viele Bakterien pflanzen sich dadurch fort, dass sie sich in zwei gleiche Teile spalten; beide Teile haben die Chance, theoretisch ewig zu leben, sich auch ewig weiter zu teilen, und das haben sie nachweislich auch in Millionen von Jahren getan. Grundsätzlich kann man also dem Bakterium keine Sterblichkeit zurechnen; wenn es die Umwelt gestattet, so ist es praktisch unsterblich. Wenn Goethe sagte; der Tod ist der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben, so müsste man eigentlich sagen: um viel organismisches Leben zu haben.
Gehen wir noch eine Stufe tiefer, nämlich in die Lebensbereiche, in denen von besonderen Einrichtungen, von Apparaturen zur Betätigung der Fortpflanzung, von irgendwelchen Generationsorganen nicht mehr die Rede sein kann, in die Lebensbereiche der nicht-zelligen Strukturen, das heißt der lebenden Substanzen, so bemerken wir, dass es bereits hier Fruchtbarkeit, Fortpflanzung, Reduplikation gibt; selbst das kristallierbare Virus, eine lebendige Substanz, an der untersten Grenze des Lebens, ist fähig, sich selbst in ungeheurem Ausmaß zu vermehren.
Die Fruchtbarkeit ist also ein Urphänomen im Sinne Goethes und wirkt bereits im Makromolekular Bezirk, bei den kleinsten Einheiten des Lebendigen. Hier muss sie studiert werden, und hier werden wir den ersten gedanklichen Anhaltspunkt dafü finden, auf welchem Wege wir eine für alle Bereiche des Lebens gültige Lösung des Fruchtbarkeitsproblems zu entdecken, Aussicht haben; denn so, wie eine jede Zelle eigentlich nichts anderes ist, als eine Kongregation, eine Zweckvereinigung lebender Substanzen, eine Kongegration von Zellen, wie trotzdem das Gnaze, das wir fertig vor uns sehen, doch nur zusammengebaut ist mit den biologischen Potenzen der lebendigen Substanzen, so ist auch die Fruchtbarkeit ganz gewiss eine Ureigenschaft lebender Substanzen und erscheint erst dort in ihrer ursprünglichen Form, wo die apparatischen Sondereinrichtungen, die zur Organisation höheren Lebensformen notwendig sind, noch nicht nötig waren.
Das Urphänomen „Fruchtbarkeit“ ist also an spezialistische Schutzvorrichtungen, wie sie die Organismen brauchen, nicht gebunden.